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Opernball
Josef Haslinger
Opernball
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»Ich saß im Regieraum des großen Sendewagens. Vor mir eine Wand von
Monitoren. Die Bilder glichen einander. Menschen schwanken, stolpern,
taumeln, erbrechen. Reißen sich noch einmal hoch. Stoßen ein letztes
Krächzen aus. Ihre Augen sind weit aufgerissen. Sie sehen, sie spüren, daß sie
ermordet werden. Sie wissen nicht, von wem, sie wissen nicht, warum. Sie
können nicht entkommen.«
ISBN 3-10-030053-X
© 1995 S. Fischer Verlag GmbH
Druck und Einband: Clausen & Bosse, Leck
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
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Buch
»Ich sah den Massenmord auf zwanzig Bildschirmen
gleichzeitig.« Josef Haslingers Roman erspart den Lesern nichts.
Die Gäste des pompösen Wiener Opernballs werden zum Ziel
eines Terroranschlags. Ein Fernsehjournalist, der die Live-
Übertragung aus den Ballsälen koordinieren soll, beobachtet das
Verbrechen auf den Monitoren. Sein eigener Sohn ist unter den
Opfern. Die Kameras laufen weiter und senden weltweit auf
zahllose Bildschirme das Sterben von Tausenden. Das Attentat
verändert die politische Landschaft. Der TV-Journalist versucht,
von Trauer um seinen Sohn getrieben, die Hintergründe des
Anschlags zu klären. Sie sind verworren, von Schlamperei und
Zufällen geprägt. Mindestens so verworren wie das Weltbild
jener kleinen Gruppe von »Entschlossenen«, die das Morden
vorbereitete. Haslingers Roman entwirft das Panorama einer
vom Terrorismus bedrohten Wohlstandsgesellschaft. Das Buch
hat die Spannung und Präzision eines Politthrillers. Es ist klar
und unerbittlich geschrieben – so, wie jene Kameras das Sterben
in den Ballsälen aufzeichneten. Der Roman zeigt die grotesken
politischen Widersprüche auf zwischen Liberalität und
Bedürfnis nach Sicherheit; den kaum kontrollierten Einfluß des
Fernsehens auf Alltagsleben und Regierungsentscheidungen; das
fatale Zusammenwirken von wiederaufflammendem
Nationalismus, Fremdenfurcht und politisch motivierter Gewalt.
Autor
Josef Haslinger, 1955 in Zwettl (Niederösterreich) geboren,
lebt in Wien als freier Schriftsteller. Er publizierte unter
anderem die Novelle Der Tod des Kleinhäuslers Ignaz Hajek
(l985) und die Erzählung Die mittleren Jahre (1990). Im Fischer
Taschenbuch Verlag veröffentlichte er 1992 den Essayband Das
Elend Amerikas. Elf Versuche über ein gelobtes Land (FTV
11337). Eine überarbeitete Neuausgabe seines ebenso erfolg-
wie folgenreichen Bandes Politik der Gefühle. Ein Essay über
Österreich erscheint im Sommer 1995 (FTV 12365).
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Inhalt
Bei der Vereidigung von Revierleitern greift der Wiener
Polizeipräsident erneut zu offene n Worten.
Polizeipräsident Reso Dorf, mittlerweile für seine entschlossene
und volkstümliche Sprache wohlbekannt, begann seine Rede
anläßlich der Angelobung von neuen Revierleitern auf dem
Wiener Heldenplatz zunächst mit nachdenklichen Tönen.
»War es nicht auch eine Prüfung«, fragte er im Hinblick auf
die Opernballkatastrophe, »die härteste Prüfung, die unser Land
in Friedenszeiten heimgesucht hat?«
Doch gleich darauf fand er entschlossenere Worte. »Warum«,
so wetterte er zu den angetretenen Kommandanten, »haben wir
nicht rechtzeitig die Zügel in die Hand genommen? Diesem
Gesindel die Stirn geboten? Mit eisernen Schlägen vernietet,
was noch nicht hoffnungslos zerrissen war? Warum haben wir
nicht aufgeräumt? Entrümpelt? Das Unkraut ausgerissen,
solange es noch klein war?«
Ein Recht ohne Macht, so erklärte Reso Dorf den
strammstehenden »Bauernburschen«, sei zum Untergang
verurteilt und stürze den ganzen Staat in den Abgrund.
Bei seiner Antrittsrede im März hatte sich Reso Dorf als
»Bauernführer« bezeichnet. Ein Polizist, so hatte er damals
gemeint, müsse mißtrauisch sein wie ein Bauer.
Seine Rede vor den frisch ernannten Kommandanten wurde
von Satz zu Satz bilderreicher.
Wörtlich führte er aus: »Wir haben diese Sonderlinge
unterschätzt, wir haben diese Aufsässigen für lächerliche
Subjekte gehalten, haben zugelassen, daß sie alles besudelten,
heruntermachten, entehrten und hemmungslos schändeten.
›Es sind doch nur Schwächlinge‹, haben wir gesagt. ›Die sind
ein Furz, den wir, wenn er uns zu sehr stinkt, einfach durch das
Fenster entlassen.‹ Und wir haben darüber gelacht. Zweifellos
werden sich einige von Ihnen an solche Sprüche erinnern: ›Die
haben wir im Griff.‹ ›Die spritzen wir, wenn sie übermütig
werden, von der Straße.‹ ›Die treiben wir über die Donau.‹
Bis uns plötzlich das Lachen verging, als sich herausstellte,
daß in diesem Dschungel von Halbaffen, Ratten und
Schmeißfliegen die gefährlichsten Täter herangereift waren, die
unser Land bislang gesehen. Auf einmal war es zu spät, und wir
knickten ein wie morsches Gerümpel.
Während der Bogen des Zumutbaren täglich aufs neue
überspannt wurde, empfingen wir Menschenrechtsdelegationen
und führten ihnen unsere Gefängnisse vor.
›Liberalität, Toleranz‹, hieß es, ›Freiheit der
Meinungsäußerung, Demonstrationsrecht.‹ Aber das hat,
verdammt noch mal, alles doch irgendwo seine Grenze.
Wenn ein Hund sein Wasser abschlägt, dünn und stinkend...
Ich werde hin und wieder wegen meiner Ausdrucksweise
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