Bernhard Thomas-Montaigne.doc

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Vor meiner Familie und also vor meinen Peinigern flüchtete ich in einen Winkel des Turms und hatte, ohne Licht und also ohne die Gelsen gegen mich wahnsinnig zu machen, aus der Bibliothek ein Buch mitgenommen, das sich nach ein paar Sätzen, die ich in ih

Vor meiner Familie und also vor meinen Peinigern flüchtete ich in einen Winkel des Turms und hatte, ohne Licht und also ohne die Gelsen gegen mich wahnsinnig zu machen, aus der Bibliothek ein Buch mitgenommen, das sich nach ein paar Sätzen, die ich in ihm gelesen hatte, als Von Montaigne herausstellte, mit welchem ich auf so innige und tatsächlich erleuchtende Weise verwandt bin, wie mit keinem anderen.

Ich hatte auf dem Weg in den Turm, wie wenn ich mich nur dadurch und durch nichts anderes hätte erretten können, in der absoluten Finsternis der Bibliothek ein Buch aus den Regalen herausgezogen, ohne die geringste Ahnung, um was für ein Buch es sich handeln könne, nur daß es möglicherweise ein philosophisches sei, dachte ich, weil die Meinigen seit- Jahrhunderten auf der unken Seite der Bibliothek immer nur solche sogenannten philosophischen Bücher gestapelt haben, und naturgemäß hatte ich doch in vollem Bewußtsein nicht von der rechten Seite der Bibliothek ein sogenanntes belletristisches Buch herausgenommen, sondern von der Unken, also keines von der belletristischen Seite, sondern ein solches aus der philosophischen, wenngleich ich nicht hatte wissen können, um welches Philosophisches es sich handelte, als ich es aus den Regalen auf der unken Seite herausgezogen hatte, denn es hätte ja tatsächlich ein ganz anderes sein können, als das, das ich schließlich herausgezogen hatte, nicht der Montaigne, sondern möglicherweise der Descartes, oder der Novalis oder der Schopenhauer.

Auf dem Weg in den Turm, auf welchem ich, wie gesagt, wegen der Gelsen kein Licht gemacht hatte, war ich doch in der höchsten Konzentration darauf angestrengt gewesen, zu erraten, welches Buch ich aus dem Regal gezogen habe, aber die Philosophen, die mir dabei durch den Kopf gegangen sind, waren alle, nur nicht Montaigne. Da solang kein Mensch mehr aus der Bibliothek in den Turm gegangen ist, war ich mit meinem Kopf bald in Hunderte von Spinnweben getaucht und am Ende hatte ich, schon bevor ich am Turm angekommen war, das Gefühl, eine Spinnwebenmütze auf zu haben; so dick hatten sich die Spinnweben auf meinem Weg von der Bibliothek in den Turm um meinen Kopf gewickelt; ich empfand die Spinnweben auf meinem Gesicht und auf meinem Kopf wie einen Verband, den ich mir auf dem Weg von der Bibliothek in den Turm gewickelt hatte nur durch mein Gehen allein und durch mehrmaliges Umdrehen des Kopfes und meines ganzen Körpers, weil ich Angst gehabt hatte, die Meinigen könnten mich zuerst schon in die Bibliothek hinein und dann aus der Bibliothek heraus in Richtung auf den Turm gesehen haben. Selbst das Atmen ist mir schwergefallen.

Nun hatte ich zu der Erstickungsangst, an welcher ich schon so viele Jahre allein durch meine geschwächten Lungen zu leiden habe, auch noch durch die Spinnweben um meinen Kopf eine zweite, noch entsetzlichere. Den ganzen Nachmittag hatten die Meinigen mich mit ihren Geschäften gequält und mir, indem sie ununterbrochen auf mich einredeten oder mir gegenüber gänzlich geschwiegen hatten, worüber zu reden gewesen wäre, vorgehalten, daß ich ihr Unglück sei. Daß ich es mir zur Methode gemacht hätte, gegen sie und gegen ihre Verhältnisse zu sein, gegen ihre Geschäfte und gegen ihr Denken, welches doch auch das meinige sei. Daß ich mir zur Gewohnheit gemacht hätte, ihr Denken zu zersetzen, sie zu verhöhnen, sie zu zerstören und zu töten. Daß ich alles in mir darauf anlegte, sie zu zersetzen und zu zerstören und zu töten. Tag und Nacht grübelte ich nichts anderes und ginge, wenn ich aufgewacht sei, gegen sie vor. Nicht ich sei der Kranke und also der Schwache, sagten sie, sondern sie seien die Kranken und Geschwächten, sie seien die von nur Beherrschten, nicht umgekehrt: ich sei ihr Unterdrücker, nicht sie gingen gegen mich vor, sondern ich gegen sie.

7 Aber so höre ich es schon, solange ich existiere. Von meiner Geburt an sei ich gegen sie gewesen, hätte ihnen schon als noch nicht sprechendes, nur sie andauernd anstarrendes böses Kind meine Existenz vorgehalten, ihte perfide Ungeheuerlichkeit. Schon das zum erstenmal Sehende Kind hätte sie erschüttert, weil es gegen sie gewesen sei. Instinktiv hätte sich schon in den ersten Augenblicken alles in nur gegen sie gewendet, schließlich mit dem Einsetzen des Verstandes meines Kopfes mit größter Entschiedenheit und Rücksichtslosigkeit.

Ich sei ihr Vernichter, sagten sie auch heute wieder, während ich ihnen doch andauernd zu verstehen gebe, sie seien meine Vernichter, betrieben meine Vernichtung von dem Zeitpunkt der Zeugung an. Die Meinigen haben mich auf dem Gewissen, sage ich in allem und jedem, das ich sage, während umgekehrt sie in allem und jedem, das sie sagen und denken und in ihrem ununterbrochenen Handeln, daß ich sie auf dem Gewissen hätte. In eine so schöne Gegend und in ein so schönes Haus sei ich von ihnen hineingeboren und hineingesetzt worden, sagen sie fortwährend, und verhöhnte und verachtete sie ununterbrochen.

8In jeder meiner Äußerungen sei nichts anderes als diese Verhöhnung und diese Verachtung, an welcher sie eines Tages zugrunde gehen werden, aber ich denke, daß ich selbst an ihrer, Verhöhnung und Verachtung zugrunde gehen werde eines Tages. Auf dem Weg aus der Bibliothek heraus in den Turm dachte ich, daß ich ihnen in zweiundvierzig Jahren nicht entkommen bin, obwohl ich die zweiundvierzig Jahre meines Lebens nichts anderes im Kopf gehabt habe, als ihnen zu entkommen; mich ihnen zu entziehen ist mir niemals möglich gewesen, auch nicht die kürzeste Zeit, denn entzog ich mich ihnen, war es doch nur ein vermeintlicher Entzug, ganz zu schweigen von Entkommen, an das ich mich gar nicht mehr zu denken getraue. Ihre Pflege sei immer die fürsorglichste gewesen, ihre Aufmerksamkeit immer die größte, ihre Hoffnungslosigkeit, mich betreffend, aber immer gleichzeitig die fürchterlichste. So viele Wege hätten sie für mich geebnet und keinen einzigen dieser Wege sei ich gegangen, sagten sie auch heute wieder. Alle Wege, die sie mir gewiesen und geebnet hätten, wären die für mich besten gewesen, sie hätten mich alle diese Wege schon gehen gesehen, aber alle diese Wege hätte ich ihnen und dadurch auch mir zunichte gemacht von allem Anfang an. Daß ich niemals eine Weg gehen wollte, hatte ich einmal zu ihnen gesagt, aber ihr Mißverständnis und ihre mit diesem Mißverständnis die unverschämteste Verschwörung eingehende Gemeinheit, hatte mich die Unsinnigkeit dieser meiner Äußerung sofort erkennen lassen, und ich hatte diese Bemerkung, daß ich niemals einen Weg gehen wollte, nicht wiederholen lassen. Alle Bemerkungen meinerseits ihnen gegenüber waren immer nur auf Mißverständnis und die mit diesem Mißverständnis arbeitende Gemeinheit gestoßen. So habe ich im Laufe der Jahrzehnte immer weniger gesagt und schließlich nichts mehr gesagt, und ihre Vorhaltungen sind immer rücksichtsloser geworden.

Ich war in die Bibliothek gegangen und hatte mir ein philosophisches Buch aus den Regalen herausgenommen in dem Bewußtsein, ein Verbrechen zu begehen, denn in ihren Augen war allein das Betreten der Bibliothek ein Verbrechen und um ein wieviel größeres das Herausnehmen eines philosophischen Buches aus den Regalen, wo doch schon allem das Zurückziehen meinerseits von ihnen als ein Verbrechen gewertet wurde. Daß sie ein Haus im Encknach gekauft hätten, um es auszubauen und dann, in einem Jahr, wieder abzustoßen mit zehnfachem Gewinn, hatten sie gesagt, daß sie zwei Landwirtschaften bei Rutzenmoos zu einer einzigen und damit zu einem Dreißigmillionengewinn gemacht hätten über Nacht, sagten sie. Wh- müssen handeln, wenn die Schwachen am geschwächtesten sind, sagten sie bei Tisch den Intelligenten durch eine noch rücksichtslosere Intelligenz zuvorkommen, sagten sie, durch eine noch perfidere Perfidie. Sie redeten nicht unmittelbar von diesen Geschäften, nur indirekt, selbst als sie über etwas von ihnen aus gesehen Philosophisches redeten, nämlich über das Alleinsein Schopenhauers, von welchem sie zwar, wie ich weiß, tatsächlich alles gelesen, aber nichts verstanden haben, redeten sie doch nur über ihre Geschäfte, wie die Intelligenz zu betrügen sei durch eine noch intelligentere Intelligenz. Sie löffelten ihre Suppe aus und nahmen einen Hund, der einen Vorübergehenden gebissen hatte, in Schutz und redeten in dieser Hundeheuchelei doch nur über ihre Geschäfte. Meine Eltern und meine Geschwister sind sich immer einig gewesen, sie waren schon immer eine Verschwörung gewesen gegen alles und gegen mich. Wir haben dich immer geliebt, sagten die Eltern auch heute wieder, und meine Geschwister schauten und hörten ihnen widerspruchslos zu, während ich dachte, daß sie mich doch zeitlebens nur gehaßt haben wie ich sie zeitlebens nur gehaßt habe, wenn ich die Wahrheit sage, wie ich weiß und nicht lüge, wogegen ich mich schon lange Zeit wehre. Wir sagen ja auch, wir lieben unsere Eltern und hassen sie in Wirklichkeit, denn wir können unsere Erzeuger nicht lieben, weil wir keüie glücklichen Menschen sind, unser Unglück ist kein eingeredetes, wie unser Glück, das wir uns täglich einreden, damit wir überhaupt den Mut haben, aufzustehen und uns zu waschen, anzuziehen, den ersten Schluck zu machen, den ersten Bissen hinunterzubringen.

Thomas Bernhard „Montaigne"

Weil wir an jedem Morgen unweigerlich daran erinnert sind, daß uns unsere Eltern in entsetzlicher Selbstüberschätzung und tatsächlich in ihrem Zeugungsgrößenwahn gemacht und geworfen und in diese doch mehr scheußliche und widerwärtige und tödliche als erfreuliche und nützliche Welt gestellt haben. Unsere Hilflosigkeit verdanken wir unseren Erzeugern, unsere Unbeholfenheit, alle unsere Schwierigkeiten, mit welchen wir zeitlebens nicht fertig werden. Zuerst hatte es geheißen, dieses Wasser darfst du nicht trinken, denn es ist vergiftet, dann hat es geheißen, dieses Buch darfst du nicht lesen, denn dieses Buch ist vergiftet. Wenn du dieses Wasser trinkst, gehst du daran zugrunde, sagten sie, dann, wenn du dieses Buch liest, gehst du daran zugrunde. Sie fahrten dich in die Wälder, sie steckten dich in finstere Kinderzimmer, um dich zu verstören, sie stellten dich Menschen vor, die du sofort als deine Verruchter erkannt hast. Sie zeigten dir Landschaften, die für dich tödlich gewesen sind. Sie warfen dich in Schulen hinein wie in Verliese, sie trieben schließlich deine Seele aus dir heraus, um sie umkommen zu lassen in ihrem Sumpf und in ihrer Öde. So wurde dem Herz von ihnen schon früh aus dem ihm entsprechenden Rhythmus gebracht, bis es schließlich irreversibel, wie die Ärzte sagen, krank geworden ist, weil sie diesem deinem Herzen gegenüber niemals Ruhe gegeben haben.

 

nSie haben dich in grüne Kleider gesteckt, wenn du rote anziehen wolltest, in kalte, wenn die wannen notwendig gewesen wären, wolltest du gehen, mußtest du laufen, wolltest du laufen, mußtest du gehen, wolltest du Ruhe, haben sie keine gegeben, wolltest du schreien, haben sie dir den Mund zugestopft. Du hast sie immer beobachtet, solange du zurückdenken kannst und ihre Verlogenheit wahrgenommen und studiert und ihnen immer wieder gesagt, daß sie verloren sind, was sie nicht wahrhaben wollten, während sie wußten, daß sie doch nichts als verloren waren die ganze Zeit, die ich sie beobachtet habe bis heute. Daß sie unverschämt sind, was sie immer abgestritten haben, skrupellos, gemeingefährlich. Da bezichtigten sie mich sozusagen der Wahrheit. Aber sagte ich ab und zu, daß sie schön sind, intelligent, um auch die Wahrheit zu sagen, bezichtigten sie mich der Lüge. So bezichtigten sie mich lebenslänglich einmal der Wahrheit und einmal der Lüge und sehr oft der Wahrheit und der Lüge und bezichtigten mich im Grunde lebenslänglich der Wahrheit und der Lüge, wie ich selbst sie lebenslänglich der Lüge und der Wahrheit bezichtige.

 

Ich kann sagen, was ich will, sie bezichtigen mich entweder der Wahrheit oder der Lüge und oft ist ihnen nicht klar, bezichtigen sie mich jetzt der Wahrheit oder der Lüge, wie mir sehr oft nicht klar ist, bezichtige ich sie der Lüge oder der Wahrheit, weil ich in meinem Bezichtigungsmechanismus, der ja schon zu einer Bezichtigungskrankheit geworden ist, nicht mehr unterscheiden kann, ist es die Wahrheit oder ist es die Lüge, wie sie Lüge und Wahrheit nicht mehr unterscheiden können mir gegenüber. Habe ich früher Todesangst gehabt, ein Stück Zucker aus der Speisezimmerdose zu nehmen, so habe ich heute Todesangst, mir ein Buch aus der Bibliothek herauszunehmen und ich habe die größte Todesangst, ist es ein philosophisches, wie gestern abend Montaigne habe ich immer geliebt, wie keinen zweiten. Immer bin ich zu meinem Montaigne geflüchtet, wenn ich in Todesangst gewesen bin. Von Montaigne habe ich mich lenken und leiten, ja auch führen und verführen lassen. Montaigne ist immer mein Retter und Erretter gewesen. Wenn ich allen ändern schließlich mißtraut habe, meiner unendlichen großen philosophischen Familie, die ich doch nur als eine unendlich große französische philosophische Familie bezeichnen kann, in welcher es immer nur ein paar deutsche und italienische Neffen und Nichten gegeben hat, die aber alle, wie ich sagen muß, sehr früh gestorben sind, bin ich doch bei meinem Montaigne immer gut aufgehoben gewesen.

 

Ich habe niemals einen Vater und niemals eine Mutter, aber immer meinen Montaigne gehabt. Meine Erzeuger, die ich niemals Vater und Mutter nennen will, haben mich vom ersten Moment an Abgestoßen, und ich habe die Konsequenzen aus dieser Abstoßung schon sehr früh gezogen gehabt und bin geradeaus in die Arme meines Montaigne gelaufen, das ist die Wahrheit. Montaigne, habe ich immer gedacht, hat eine große, unendliche, philosophische Familie, aber ich habe alle diese philosophischen Familienmitglieder niemals mehr geliebt als ihr Oberhaupt, meinen Montaigne. (Weiter Seit 16) Ich hatte, auf dem Weg in den Turm, in der Bibliothek und in der wegen der Gelsen notwendigen Finsternis, mich nur an eines dieser französischen philosophischen Familienmitglieder anklammern wollen, nachdem ich mich aus den Fängen der Meinigen befreit hatte, aber niemals gedacht, daß ich selbst in der größten Finsternis mit sicherem Griff meinen Montaigne in die Hand bekomme. Die Meinigen hatten ihre Suppe und ihr Fleisch mit derselben Gier gegessen, die mich an ihnen immer schon abgestoßen hat, wie sie den Löffel zum Mund führen, das sagt mehr Ober sie aus, als alles an dere an ihnen; wie sie das Fleisch auf dem Teller schneiden, den Salat aus der Schüssel herausholen. Wie sie aus ihren Gläsern trinken und das Brot reißen, ganz abgesehen davon, wie sie was aussprechen und worüber sie sich ernst oder lustig machen, es ist mir immer abstoßend und beschämend gewesen. Ich habe die Mahlzeiten mit ihnen immer gehaßt, aber ich bin zeitlebens gezwungen gewesen, mit ihnen zusammen zu sein, ihnen ausgeliefert zu sein infolge meiner Krankheit. Keine hundert Schritte ohne sie, die meiste Zeit, das wäre erschütternd zu nennen, wenn es mich nicht vor so einer Bezeichnung grauste. Alles an ihnen und mit ihnen (und mit mir) wäre erschütternd zu nennen, wenn es mich nicht vor dieser Bezeichnung so grausam würde wie vor nichts. Zuerst hatten sie mich abhängig gemacht, dann hatten sie mir diese Abhängigkeit von ihnen vorgeworfen, lebenslänglich. Von dem Augenblick an, im welchem ich nicht mehr aus dieser Abhängigkeit von ihnen herauskonnte, sie mir die natürliche geworden war, die entsetzliche natürliche. Mit ihnen, mußte ich mir von einem bestimmten Zeitpunkt an sagen, ist es die einzige Möglichkeit. Wir wollen flüchten, fliehen, aber wir können nicht mehr. Sie (und wir selbst) haben alle Ausgänge ins Freie zugemauert. Auf einmal sehen wir, daß sie uns (wie wir uns) eingemauert haben. Dann warten wir nur mehr noch auf den Augenblick, in welchem wir erstifcken. Dann denken wir oft, ob es nicht besser sei, erblindet zu sein, vollkommen gehörlos zu unseren anderen lähmenden Krankheiten, weil wir dann nichts mehr, das wir doch nur als tödlich erkennen müssen, sehen, nichts mehr hören, aber das wird uns auf einmal auch zum Trugschluß. Wir wollten immer Heilung, wo keine Heilung mehr zu erwarten, weil nicht mehr möglich gewesen ist. Wie wollten immer ausbrechen, wo nicht mehr auszubrechen war. Wenn du an den Brunnen gehst, schlagen wir dich tot, hatten sie gesagt, als ich vier oder fünf Jahre alt gewesen bin. Wenn du in die Bibliothek hineingehst, wirst du schon sehen, sagten sie und meinten nichts weniger, als daß sie mich totschlagen würden. So bin ich als vierund fünfjähriges Kind immer nur heimlich an den Brunnen und sozusagen als Erwachsener immer nur heimlich in die Bibliothek hineingegangen. Sie hatten mir immer zu verstehen gegeben, daß ich am Brunnen das sogenannte Übergewicht bekommen und hineinstürzen würde, unrettbar. Und sie hatten mir immer zu verstehen gegeben, daß ich in der Bibliothek und in ganz bestimmten, sie sagten ja nicht direkt philosophischen Büchern, das Übergewicht bekommen und hineinstürzen würde, unrettbar. Wie ich vor vier oder fünf Jahren heimlich und bis in die Seele hinein frierend in die Bibliothek gegangen bin, gehe ich schon so viele Jahre nur heimlich hinter ihrem Rücken sozusagen in die Bibliothek hinein.

 

(Weiter Seite 21) Jedesmal kommt es mir vor, als ginge ich in eine Falle hinein, weil sie mir immer gesagt oder zu verstehen gegeben hatten, daß die Bibliothek für mich eine Falle sei (wie der Brunnen). Ich bin zweiundvierzig Jahre alt und gehe in die Bibliothek wie in eine Falle hinein. Die Falle wird zuschnappen, hatten sie gesagt, wie ich zum erstenmal in die Bibliothek hineingegangen bin. Jedesmal, wenn ich in die Bibliothek hineingehe, denke ich, die Falle schnappt zu. Es hätte auch der Descartes sein können, dachte ich, auch der Pascal. Mein Gott, dachte ich, wie ich alle diese Philosophen liebe, ich liebe sie wie nichts auf der Welt! Aber es ist Montaigne gewesen, mein über alles geliebter Montaigne! Ich setzte mich in den hintersten Winkel des Turms und las und las und ich hätte heulen können vor Glück, wenn ich nur eine solche Ungeheuerlichkeit des wunderbaren Gehenlassens nicht längst zunichte gemacht hätte mit diesem Gedanken: Wenn wir hemmungslos aus uns herausheulen und sehen uns nicht dabei und durchdenken uns bei dieser Gelegenheit nicht, sind wir noch viel lächerlicher, als wir uns schon gemacht haben, also sah ich mich, wie ich aus mir herausheulte und durchdachte diese Tatsache, ohne wirklich und tatsächlich aus mir herauszuheulen. Ich las aus meinem Montaigne bei zugemachten Fensterbalken auf die unsinnigste Weise, weil es ohne künstliches Licht so mühevoll war, bis zu dem Satz: hoffentlich ist ihm nichts zugestoßen! Der Satz war nicht von Montaigne, sondern von Meinigen, die mich unterhalb des Turms hin- und hergehend, suchten.

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