Boell, Heinrich - Billard um halbzehn.pdf
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Heinrich Böll
Billard um
halbzehn
Roman
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»Wenn die Geschichten von Schicksalen, die um der Wahrheit willen
erfunden wurden, noch heutzutage auf die Leser einen Einfluß ausüben
können, dann ist wohl der Roman Heinrich Bölls dazu angetan, den
Menschen besser zu machen. Was könnte man von einem Moralisten mehr
sagen?«
Marcel Reich-Ranicki in der »Welt«
ISBN 3-423-00991-8
Deutscher Taschenbuch Verlag
Ungekürzte Ausgabe
1. Auflage April 1974
12. Auflage Juni 1983: 256. bis 275. Tausend
Umschlaggestaltung: Celestino Piatti
Das Buch
Die Geschichte dreier Generationen einer rheinischen
Architektenfamilie symbolisiert das deutsche Schicksal der
ersten Jahrhunderthälfte. Das äußere Geschehen ist in den
Ablauf eines einzigen Tages des Jahres 1958 gespannt. Es ist der
achtzigste Geburtstag von Heinrich Fähmel, der im Jahre 1907
den Auftrag erhielt, die Abtei St. Anton zu erbauen. Sein Sohn
Robert, der jeden Tag von halbzehn bis elf im Hotel Prinz
Heinrich Billard spielt, hat n seiner Eigenschaft als
Sprengspezialist der Wehrmacht die Abtei in den letzten
Kriegstagen zerstört. Der Enkel Joseph wird am Wiederaufbau
beteiligt. In den Gesprächen Roberts mit dem Hotelboy, in
Rückblenden und Erinnerungen seines Vaters verknüpfen sich
Vergangenheit und Gegenwart, werden die Situationen der
einzelnen Zeitabschnitte verdeutlicht. Im Mittelpunkt steht dabei
der Konflikt zwischen dem selbständig denkenden und
handelnden Einzelgänger und der politisch opportunistischen
Mehrheit. »Es ist eine breit dahinflutende, schmerzlich schöne
Elegie vom Leben dieser unserer eigenen Zeit, von Hoffnungen,
Leiden und Illusionen. Das Buch hat Reife. Es ist aller Tendenz
enthoben. Sein Klang ist voll, sein Sinn ist mild, seine Wahrheit
ist entschieden und klar: die Wahrheit des Lamms, das geopfert
wird, damit die Welt weiterleben kann.« (Karl Korn in der
›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹)
Der Autor
Heinrich Böll, am 21. Dezember 1917 in Köln geboren, war
nach dem Abitur Lehrling im Buchhandel. Im Krieg sechs Jahre
Soldat. Danach Studium der Germanistik. Seit 1949
veröffentlichte er Erzählungen, Romane, Hör- und
Fernsehspiele, Theaterstücke und ist auch als Übersetzer aus
dem Englischen tätig. 1972 erhielt Böll den Nobelpreis für
Literatur.
Von Heinrich Böll sind im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen:
Irisches Tagebuch (1)
Zum Tee bei Dr. Borsig (200)
Als der Krieg ausbrach (339)
Nicht nur zur Weihnachtszeit (350)
Ansichten eines Clowns (400)
Wanderer, kommst du nach Spa... (437)
Ende einer Dienstfahrt (566)
Aufsätze - Kritiken - Reden (616/617)
Der Zug war pünktlich (816)
Wo warst du, Adam? (856)
Gruppenbild mit Dame (959)
Der Lorbeer ist immer noch bitter (1023)
Die verlorene Ehre der Katharina Blum (1150; auch als dtv großdruck 2501)
Schwierigkeiten mit der Brüderlichkeit (1153)
Das Brot der frühen Jahre (1374)
Hausfriedensbruch/Aussatz (1439)
Und sagte kein einziges Wort (1518)
Ein Tag wie sonst (1536)
Spuren der Zeitgenossenschaft (1580)
Gefahren von falschen Brüdern (1581)
Haus ohne Hüter (1631)
Eine deutsche Erinnerung (1691)
Du fährst zu oft nach Heidelberg (1725)
Fürsorgliche Belagerung (10001)
Hierzulande (10027)
Das Heinrich Böll Lesebuch (10031)
Frankfurter Vorlesungen (sr 5368)
Zusammen mit Klaus Staeck: Gedichte/Collagen (1667)
Über Heinrich Böll:
Der Schriftsteller Heinrich Böll (530)
In Sachen Böll - Ansichten und Einsichten (730)
1
An diesem Morgen war Fähmel zum ersten Mal unhöflich zu
ihr, fast grob. Er rief sie gegen halb zwölf an, und schon der
Klang seiner Stimme verhieß Unheil; diese Schwingungen
waren ihr ungewohnt, und gerade weil seine Worte so korrekt
blieben, erschreckte sie der Ton: alle Höflichkeit war in dieser
Stimme auf die Formel reduziert, als wenn er ihr statt Wasser
H
2
O angeboten hätte.
»Bitte«, sagte er, »nehmen Sie aus Ihrem Schreibtisch die
kleine rote Karte, die ich Ihnen vor vier Jahren gab.« Sie zog mit
der rechten Hand ihre Schreibtischschublade auf, schob eine
Tafel Schokolade, den Wollappen, das Messingputzmittel
beiseite, nahm die rote Karte heraus. »Bitte, lesen Sie mir vor,
was auf der Karte steht.« Und sie las mit zitternder Stimme:
»Jederzeit erreichbar für meine Mutter, meinen Vater, meine
Tochter, meinen Sohn und für Herrn Schrella, für niemanden
sonst.«
»Bitte, wiederholen Sie den letzten Satz«, und sie
wiederholte: »Für niemanden sonst.« »Woher wußten Sie
übrigens, daß die Telefonnummer, die ich Ihnen gab, die des
Hotels ›Prinz Heinrich‹ war?« Sie schwieg. »Ich möchte
betonen, daß Sie meine Anweisungen zu befolgen haben, auch
wenn sie vier Jahre zurückliegen... bitte.«
Sie schwieg.
»Dummes Stück...« Hatte er das ›Bitte‹ diesmal vergessen?
Sie hörte Gemurmel, dann eine Stimme, die ›Taxi‹ rief,
›Taxi‹, das amtliche Tuten, sie legte den Hörer auf, schob das
Kärtchen auf die Mitte des Schreibtisches, empfand beinahe
Erleichterung; diese Grobheit, die erste innerhalb von vier
Jahren, war fast wie eine Zärtlichkeit.
-4-
Wenn sie verwirrt war oder des bis aufs äußerste präzisierten
Ablaufs ihrer Arbeit überdrüssig, ging sie hinaus, das
Messingschild zu putzen: ›Dr. Robert Fähmel, Büro für statische
Berechnungen, nachmittags geschlossen‹. Eisenbahndämpfe, der
Schleim der Auspuffgase, Straßenstaub gaben ihr täglich Grund,
den Wollappen und das Putzmittel aus der Schublade zu
nehmen, und sie liebte es, diese Putzminuten auf eine viertel,
eine halbe Stunde auszudehnen. Drüben im Haus Modestgasse 8
konnte sie hinter staubigen Fenstern die stampfenden
Druckereimaschinen sehen, die unermüdlich Erbauliches auf
weißes Papier druckten; sie spürte das Beben, glaubte sich auf
ein fahrendes oder startendes Schiff versetzt. Lastwagen,
Lehrjungen, Nonnen; Leben auf der Straße, Kisten vor
Gemüseläden: Apfelsinen, Tomaten, Kohl. Und am Nebenhaus,
vor Gretzens Laden, hängten zwei Lehrjungen gerade den Keiler
auf, dunkles Wildschweinblut tropfte auf den Asphalt. Sie liebte
den Lärm und den Schmutz der Straße. Trotz stieg in ihr hoch,
und sie dachte an Kündigung; in irgendeinem Dreckladen
arbeiten, in einem Hinterhofbetrieb, wo Elektrokabel, Gewürze
oder Zwiebeln verkauft wurden, wo schmuddelige Chefs mit
herunterhängenden Hosenträgern und Wechselsorgen zu
Vertraulichkeiten neigten, die man dann wenigstens hätte
abweisen können; wo man um die Stunde, die man wartend
beim Zahnarzt verbrachte, zu kämpfen hatte; wo für die
Verlobung einer Kollegin Geld gesammelt wurde, Geld für
einen Haussegen oder ein Buch über die Liebe; wo die
schmutzigen Witze der Kollegen einen daran erinnerten, daß
man selbst rein geblieben war. Leben. Nicht diese makellose
Ordnung, nicht diesen Chef, der makellos gekleidet und
makellos höflich war - und ihr unheimlich; sie witterte
Verachtung hinter dieser Höflichkeit, die er jedem, mit dem er
zu tun hatte, zuteil werden ließ. Doch mit wem, außer ihr, hatte
er schon zu tun? Soweit sie zurückdenken konnte, hatte sie ihn
nie mit jemandem sprechen sehen - außer mit seinem Vater,
-5-
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Hesse, Hermann
Hoffmann, E.T.A
Kafka, Franz
Mann, Thomas
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