Der Spiegel 2012 40.pdf

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H aus m itteilung
1. Oktober 2012 Betr.: SPIEGEL-Affäre, Titel, James Bond
K ein Jubel, kein Pomp, kein Schulterklopfen. Der SPIEGEL wollte mit sich
Schmidt, Mascolo
selbst nicht anders umgehen als mit den Menschen und den Ereignissen, über
die er berichtet: akribisch bei den Fakten, kritisch im Urteil. Die Redaktion lud
zum 50. Jahrestag der SPIEGEL-Affäre nicht zu einem Festakt, um sich und den
Sieg der Pressefreiheit zu feiern. Fünf Jahrzehnte nachdem Gründer Rudolf Aug-
stein wegen angeblichen Landesverrats in Haft gekommen war und Polizisten die
Redaktion besetzt hatten, veranstaltete der SPIEGEL eine Konferenz und bat His-
toriker und Zeitzeugen um deren Analyse, deren Meinung und deren Erinnerung:
Was genau geschah im Herbst 1962? Welche Bedeutung hatte die Affäre damals,
welche hat sie noch? „Der SPIEGEL tritt hier in doppelter Rolle auf, einmal als
Veranstalter der Konferenz, aber auch als Objekt“ derselben, sagte Chefredakteur
Georg Mascolo zur Begrüßung. „An den Diskussionen werden wir uns zwar betei-
ligen, aber wir wollen auch zuhören und lernen.“
Wehler
An zwei Tagen folgten rund 500 Gäste den Vorträgen und Diskussionen im Foyer
des SPIEGEL-Gebäudes in Hamburg, an den Wänden dokumentierten Fotos die da-
maligen Vorgänge. „SPIEGEL tot – die Freiheit tot“, so hatten es Demonstranten auf
ein Plakat geschrieben. Und einer der bekanntesten deut-
schen Historiker, Hans-Ulrich Wehler, maß in seinem Er-
öffnungsvortrag der Affäre keine geringere Bedeutung bei:
Sie habe „einem machtvollen säkularen Trend zum Sieg
verholfen“, dem „Rückgriff auf autoritäre, obrigkeitsstaat-
liche Elemente haftete fortab ein Makel“ an. Dass sich eine
kritische Öffentlichkeit entwickelt habe und die Medien
zur vierten Staatsgewalt geworden seien, verdanken „wir
dem Kampf des SPIEGEL um die Meinungsfreiheit“, sagte
Wehler. Wie wichtig die Ereignisse für die noch recht junge
Bundesrepublik waren, ist unter Historikern umstritten.
Manche Redner klangen zurückhaltend, etwa Thomas
Schlemmer vom Münchner Institut für Zeitgeschichte. Der
SPIEGEL möge sich und die Affäre nicht überschätzen,
mahnte er und spottete: „Warum wollte Willy Brandt 1969 ,mehr Demokratie wagen‘,
wenn der SPIEGEL 1962 schon alles für ihn erledigt hatte?“ Hauke Janssen, Chef der
SPIEGEL-Dokumentation und Organisator der Konferenz, bilanzierte: Die Affäre
sei kein Wendepunkt der deutschen Geschichte gewesen, aber das „große symbol-
trächtige Einzelereignis, an dem sich diese Entwicklung kristallisieren sollte“.
Ehmke, Genscher
SPIEGEL-Beilage
Frei, Hachmeister
Auf der Konferenz stellte sich der SPIEGEL auch der eigenen Geschichte: der Tat-
sache, dass ehemalige SS-Offiziere der Redaktion angehörten. Wurden sie von Aug-
stein eingestellt, gerade weil sie in der SS gewesen waren und ihre Kenntnisse des
NS-Apparats in die Redaktionsarbeit einbringen konnten, wie der Medienwissen-
schaftler Lutz Hachmeister argumentierte? Und trugen sie dazu bei, dass Artikel in
den fünfziger Jahren antisemitische Klischees enthielten und einen Landser-Ton hat-
ten, wie es der Historiker Norbert Frei dem Magazin attestierte? Die Redaktion war
nach der Gründung des Magazins 1947 offensichtlich nicht in allen Belangen besser
als der Rest der Republik. Aber schon in den fünfziger Jahren begann der Wandel,
konzedierte Frei; „anders ließe sich auch nicht erklären, dass so viele aufgeklärte
Zeitgenossen 1962 für den SPIEGEL Partei ergriffen“, sagt Klaus Wiegrefe, Redakteur
für zeitgeschichtliche Themen. Von den Ereignissen in jenem Herbst erzählten auf
der Konferenz mehrere Männer, die dabei waren, etwa die späteren Minister Hans-
Dietrich Genscher, damals FDP-Bundesgeschäftsführer, und Horst Ehmke, damals
Hohlmeier, Augstein, Doerry
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DER SPIEGEL 40/2012
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SPIEGEL-Gebäude in Hamburg
als Anwalt für den SPIEGEL tätig. Altkanzler Helmut Schmidt, einst Hamburger In-
nensenator, kündigte an: „Wenn es noch mal passiert und wenn ich dann noch unter
den Lebendigen weile, gehe ich auch auf die Barrikaden.“ Und es diskutierten zwei
Töchter: Franziska Augstein und Monika Hohlmeier, jüngstes Kind von Franz Josef
Strauß. In dem Gespräch, moderiert vom stellvertretenden Chefredakteur Martin
Doerry, pochte Hohlmeier darauf, dass ihr Vater viel freiheitlicher gedacht habe, als
der SPIEGEL es jemals dargestellt habe. Franziska Augstein mochte nicht alle Schärfe
in den Artikeln rechtfertigen; nichtsdestoweniger bleibe festzuhalten, dass Strauß
den Rechtsstaat „ein bisschen wenig geachtet“ habe.
Der SPIEGEL wird die Konferenz dokumentieren, in einem Tagungsband, der im
Frühjahr erscheinen soll. Der Anlass für den Kampf zwischen Strauß und Augstein,
Staatsmacht und SPIEGEL, Obrigkeit und Freiheit – der ist schon in dieser Ausgabe
nachzulesen. Eine Beilage enthält die damalige Titelgeschichte „Bedingt abwehrbereit“
und weitere Texte aus den Jahren 1962 und 1963 als Faksimile.
W as treibt den Menschen dazu, seine Grenzen zu überschreiten? Warum rennen
Ärzte Hunderte Kilometer durch die Wüste, warum schwimmen Lehrer mit
Haien, warum springen Manager mit Skiern aus einem Helikopter? SPIEGEL-Redak-
teur Maik Großekathöfer hat sie gefragt, für die Titelgeschichte. „Die Suche nach
der Grenzerfahrung kann süchtig machen“, sagt er. Ohnehin ist der Extremsport nur
ein Beispiel. Immer mehr Menschen wollen ausbrechen aus dem ritualisierten Alltag
mit Job, Familie und dem abendlichen TV-Programm. Die Sehnsucht nach dem
Extremerlebnis ist nirgendwo so deutlich zu beobachten wie am Mount Everest. An
einem Wochenende im vergangenen Mai
wollten über 300 Bergsteiger auf den Gipfel,
6 von ihnen starben. SPIEGEL-Redakteur
Lukas Eberle ist nach Katmandu geflogen,
um das Drama zu rekonstruieren. „Viele die-
ser Menschen haben mehr Angst, ein lang-
weiliges Leben zu führen, als ihr Leben zu
verlieren“, sagt er (Seite 62).
Eberle (r.) in Katmandu
A uf die Frage, wo Bond zu Hause sei, antwortete Roger Moore, 84, stets lakonisch:
„Im Bett mit einer Blondine!“ Als SPIEGEL-Redakteur Lars-Olav Beier den
Schauspieler zum 50. Jahrestag des ersten „James Bond“-Films interviewte, erfüllte
er sich einen Jugendtraum: 1977 war Beier durch Moores Bond-Darstellung in „Der
Spion, der mich liebte“ zum Kino-Fan geworden. Nun wollte er wissen, was die Po-
pularität dieser Figur ausmacht. Er sprach mit Moore über Bonds Abneigung zu
töten, besuchte den Ausstatter Ken Adam, 91, der Bonds Aston Martin getunt hatte,
und traf sich mit dem aktuellen Bond-Darsteller Daniel Craig, der mit dem neuen
007-Film „Skyfall“ am 1. November in die deutschen Kinos kommt. „Bond verfügt
über eine Fähigkeit, die wir alle gern hätten“, erzählte ihm Moore. „Er bedauert
nichts, er hadert nicht mit sich. Er schaut einfach nur nach vorn“ (Seite 124).
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Im Internet: www.spiegel.de
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