Bernhard Schlink - Der Vorleser.pdf

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Der Vorleser
Schlink
Der Vorleser
Roman ∙ Diogenes
Bernhard
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Diogenes Taschenbuch 22953
de
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Scan & Layout: gnophilea
Korrektur: homebrew
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Bernhard Schlink
Der Vorleser
Roman
Φ
Die Erstausgabe erschien 1995
im Diogenes Verlag
Umschlagillustration: Ernst Ludwig Kirchner,
›Nollendorfplatz‹, 1912 (Ausschnitt)
Copyright © by Dr. Wolfgang & Ingeborg
Henze-Kletterer, Wichtrach/Bern
Alle Rechte vorbehalten
Copyright © 1995
Diogenes Verlag AG Zürich
www.diogenes.ch
ISBN 3 257 22953 4
E RSTER T EIL
1
Als ich fünfzehn war, hatte ich Gelbsucht. Die Krankheit
begann im Herbst und endete im Frühjahr. Je kälter und
dunkler das alte Jahr wurde, desto schwächer wurde ich.
Erst mit dem neuen Jahr ging es aufwärts. Der Januar
war warm, und meine Mutter richtete mir das Bett auf
dem Balkon. Ich sah den Himmel, die Sonne, die Wolken
und hörte die Kinder im Hof spielen. Eines frühen Abends
im Februar hörte ich eine Amsel singen.
Mein erster Weg führte mich von der Blumenstraße, in
der wir im zweiten Stock eines um die Jahrhundertwende
gebauten, wuchtigen Hauses wohnten, in die
Bahnhofstraße. Dort hatte ich mich an einem Montag
im Oktober auf dem Weg von der Schule nach
Hause übergeben. Schon seit Tagen war ich schwach
gewesen, so schwach wie noch nie in meinem Leben.
Jeder Schritt kostete mich Kraft. Wenn ich zu Hause
oder in der Schule Treppen stieg, trugen mich meine
Beine kaum. Ich mochte auch nicht essen. Selbst
wenn ich mich hungrig an den Tisch setzte, stellte
sich bald Widerwillen ein. Morgens wachte ich mit
trockenem Mund und dem Gefühl auf, meine Organe
lägen schwer und falsch in meinem Leib. Ich schämte
5
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