Ball Hugo - Flametti; oder, vom Dandysmus der Armen.txt

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Flametti
oder
Vom Dandysmus der Armen
Roman

Hugo Ball


Emmy Hennings zugeeignet




I




Flametti zog die Hosen an, spannte die Hosentr�ger und brachte durch
mehrfaches Wippen der Beine die etwas straff ansetzende Hosennaht in
die ang�ngigste Lage.  Er z�ndete sich eine Zigarette an, st�lpte die
Hemd�rmel auf und trat aus dem Schlafgemach in das Gasfr�hlicht
seiner geheizten Stube.

"Kaffee!" befahl er mit etwas verschlafener, rauh gepolsterter Stimme.

Er strich sich die haarigen Arme und g�hnte.  Trat vor den
Spiegelschrank, zog sich den Scheitel.  Er b�rstete Hosen und Stiefel
ab, setzte sich dann auf das weinrote Pl�schsofa und �ffnete z�gernd
die Schieblade des vor dem Sofa stehenden E�tisches.

Dort befanden sich seine Rechnungsb�cher, seine verschiedenen Kassen,
Quittungshefte und die brandroten Briefkuverte, die die Anschrift
trugen "Flamettis Variet�-Ensemble".

Er stellte die Gagen zusammen--es war der f�nfzehnte--und fand, da�
er zu zahlen habe:


dem Jodlerterzett (Vater, Mutter und Tochter), nach Abzug der � conti
                                                              Fr. 27.50

dem Kontorsionisten, nach Abzug der � conti                     "  2.27

dem Damenimitator (keine � conti)                               " 60.�

der Soubrette und dem Pianisten (zusammengenommen, sie lebten
zusammen), nach Abzug der � conti                               " 15.�


Zusammen                                                     Fr. 104.77



Dagegen befanden sich in der Kasse:

f�r das Terzett (hier war Genauigkeit geboten, die Leute waren
unruhig, aufs�ssig und Anarchisten)                           Fr. 27.50

f�r den Kontorsionisten (dem gab er die Gage unter der Hand)    "  �.�

f�r den Damenimitator (bei schlechtem Gesch�ftsgang hatte Flametti
f�r ihn nur jeweils die H�lfte der Gage allabends zur�ckgelegt) " 30.�

f�r das Pianisten-Soubrettenpaar (strebsame, ruhige Leute, die
Anspruch machten auf Solidit�t)                                 " 15.�

Flametti addierte                                             Fr. 72.50



Er zog die Summe von den Fr. 104.77 ab.  Blieben Fr. 32.27, die aus
der Haupt--und Betriebskasse noch nachzuzahlen waren.

Er �ffnete auch diese Kasse und fand darin bar Fr. 41.81.

"Neun Franken vierundf�nfzig Verm�gen!"  Er schlo� die verschiedenen
Kassen ab, schob die Schieblade zur�ck, schlo� auch diese und steckte
die Schl�ssel zu sich.

Seine linke Augenbraue flog hoch, f�r einen Moment.  Er tat einen
kr�ftigen Zug aus der Zigarette und blies den Rauch aus der Lunge.
"Lausige Zeiten!" brummte er.  "Aber wird sich schon geben.  Nur kalt
Blut!"

Ein kleiner Schalter �ffnete sich, der das Wohnzimmer mit der K�che
verband, und ein �bergro� langes, m�rrisches Gesicht erschien in der
�ffnung.  Eine gro�e, magere Hand schob ein Tablett mit Kaffee, Milch
und Zucker durch die �ffnung.  Dann ging auch die T�re und eine
h�rbar schnaubende �ltere Frau erschien, mi�mutig, verdrie�lich,
ru�ig, in schleppenden, grauen Pantoffeln, mit schmutzigem Rock von
undefinierbarer Farbe und mit aufgestecktem Haar, das wie das Nest
einer Rauchschwalbe aussah: Theres, die Wirtschafterin.

Sie schleppte sich zum Tisch, zog die Tischdecke weg und legte sie
knurrend zusammen.  Schlappte langsam und uninteressiert zum Schalter,
nahm das Tablett und stellte es auf den Tisch.

Ohne ein Wort gesprochen zu haben, brummte sie wieder hinaus, die T�r
lehnte sich hinter ihr an, und von drau�en schlo� sich der Schalter.

Flametti go� sich Kaffee ein.  Er nahm den Hut vom Haken, legte die
Joppe an, die �ber der Stuhllehne hing, holte aus einer Ecke sein
Angelger�t, aus dem B�fett einige Blechdosen von unterschiedlicher
Gr��e und war bereit.

Nein, die Ringe!  Er drehte die Ringe von den geschwollenen Fingern,
den Totenkopfring und den Ehering, legte sie in das Geheimfach im
Schrank, schlo� den Schrank ab, steckte den Schl�ssel zu sich und
ging.  Auf der Postuhr schlug es halb sechs.

Er hatte ein kleines St�ck Flu� gepachtet, inmitten der Stadt, nahe
der Fleischerhalle.  Dahin begab er sich.

Eine kurz angebundene Melodie vor sich hinpfeifend, den Kopf
energisch gegen das Pflaster gesenkt, bog er aus der kleinen,
verr�ucherten Gasse.

Im Automatenrestaurant nebenan fegte, g�hnte und scheuerte man.  Ein
Polizist auf der anderen Stra�enseite, nahe beim �bern�chtig nach
Salmiak duftenden Urinoir, sah ziemlich gelangweilt, die Fr�hluft
schnuppernd, �ber das Kaigel�nder ins Wasser.

"Sal�!" gr��te Flametti, knapp und gesch�ftig an ihm vor�berstapfend,
mit dem guten Gewissen des B�rgers, der seinen Angelschein wohl in
der Tasche tr�gt und die Obrigkeit, ihre unteren Chargen insonders,
nicht zu umgehen braucht.  "Sal�!" rief er und fuhr mit der Hand
gradaus vom Hutrand weg in die Luft.

Der Polizist brummte etwas zur Antwort, das etwa "Guten Morgen"
hei�en sollte.  Der Gru� war aber nicht eben freundlich.  Auch nicht
unfreundlich.  Vielmehr: verschlafen beherrscht.  Man kann nicht
leugnen, da� sogar Sympathie darin lag, jedoch in wohldosierter
Mischung mit einer Art Mi�trauen, das auf der Hut ist.  Die Gasse,
aus der Flametti kam, stand nicht eben im besten ortspolizeilichen
Ruf.

Der Morgen indessen war viel zu verhei�end, als da� Flametti sich
h�tte die Laune verderben lassen.  An der Fleischerhalle vorbei, die
Kaitreppe hinunter, begab er sich, guter Beute gewi�, an den Steg.

Er pr�fte die Angelschnur, machte den K�der zurecht, klappte den
Rockkragen hoch--es war frisch--und blies sich die H�nde.

Gleich der erste Fang war ein riesiger Barsch.  Der Fisch flirrte und
gl�nzte, flutschte und klatschte.

Das Wetter war grau.  Blaugrauer Nebel bl�hte die T�rme am Wasser,
die Schiffl�nde mit ihren gr�nwei� gestrichenen, sechsst�ckigen
H�usern, den rasch vor�berstrudelnden Flu� und die jenseits hoch �ber
die H�user h�ngenden Stadtgartenstr�ucher.

Flametti l�ste die Angel, lie� den Fisch in das Netz hineinschnellen,
brachte den K�der in Ordnung und warf die Angel zum zweitenmal aus.

Er sah sich um nach dem Polizisten.  Der war verschwunden.

"�berfl�ssiges Element!" brummte er, zupfte am K�der, um die
Aufmerksamkeit der Fische zu erregen, machte die rechte Hand frei und
schneuzte sich kr�ftig in ein derbes, rotbedrucktes Taschentuch.
"Geschmei�!  Gr��ere Faulenzer gibt es nicht!"

Auf der Stra�e lie� sich ein drohendes Brummen und Surren vernehmen,
das ratternd und knatternd n�herkam: ein fr�hester Autowagen der
"Waschanstalt A.-G.".  Das Vehikel puffte, b�llerte, walzte vor�ber.
Der ganze Kai vibrierte.  Ein Ruck an der Angel: ein zweites Tier
hatte angebissen.  Diesmal ein Rotauge.

"Gut so", zwinkerte Flametti, "darf so weitergehen!"

Fabrikarbeiter kamen vor�ber.  Sie markierten zur Bahn.

"Hoi", riefen sie hinunter, "gibt's aus?"

"Sal�!" drehte sich Flametti um.  Sie gestikulierten in Eile vor sich
hin und verschwanden.

Das Wasser flo� graugr�n und undurchsichtig.  Die M�wen strichen sehr
niedrig und zischten �ber die Br�cken hinweg. An der H�userfront der
Schiffl�nde �ffnete sich ein Fenster, und eine junge Frau sah nach
dem Wetter.

"Sal�!" rief Flametti hin�ber.

Sie lachte und schlo� das Fenster.

Ein Kind schrie, und eine Turmuhr schlug.  Die Glocken einer
katholischen Kirche l�uteten.  Auch in der Fleischerhalle regte es
sich.  Auf der Gem�sebr�cke fuhren die H�ndler Obst und Kartoffeln an.

Der dritte Fang war ein armslanger Aal.  An der Grundangel kam er
nach oben.  Schwarz wie der Schlamm und die Planken, aus denen er kam,
trug er deutliche Spuren von Rattenbi�.

Auf den Kaiquadern schlug ihn Flametti zu Schanden.

Schulkinder und ein von entmutigendem Beruf heimkehrendes Fr�ulein,
die sich oben am Gel�nder versammelt hatten, schrien laut auf vor
Entsetzen.  Das Fr�ulein l�chelte.

"Servus, Margot!" rief Flametti hinauf aus der Kniebeuge, eifrigst
mit seinen Ger�ten besch�ftigt.

Sie lachte und hielt die ringbes�te Hand in Verlegenheit vor ihre
schlechten Z�hne.  Die Kinder sahen sie neugierig an und musterten
ihren bunten Aufputz.

�bers Gel�nder gebeugt, lie� sie ihr T�schchen schaukeln, die Hand am
Munde, und rief, auf den heftig sich kr�mmenden Fisch hinzeigend:

"Noch so einen, f�r mich!"

"Was zahlst du?" wischte Flametti sich die H�nde ab, um
weiterzufischen.

"Zahlen?" rief sie und schaute dabei unternehmend nach allen Seiten,
"erst heraus damit!"; was der Dienstmann im blauen Leinenkittel, der
sich inzwischen mit seinem Karren an der Ecke der Fleischerhalle
versammelt hatte, als den besten Witz des bisherigen Morgens
verst�ndnisinnig zur Kenntnis nahm und l�chelnd quittierte.

Flametti hatte Gl�ck.  Als die Uhr acht schlug, nahm er seine B�chsen,
Angeln und Netze und begab sich nach Hause.

Auf zehn Kilo sch�tzte er, was er gefangen hatte.  Damit lie� sich
leben.

Er stellte das Angelger�t an seinen Platz zur�ck, ging in die K�che
und suchte der Wirtschafterin aus dem Netz die Rotaugen heraus f�r
den Mittagstisch.  Nahm dann mit einem kr�ftigen Ruck seine Last
wieder auf und stapfte davon.

Schnurstracks begab er sich ins Hotel Beau Rivage, wo er bekannt war,
verlangte den K�chenmeister zu sprechen und bot ihm die Fische an.

"Schau her", sagte er, "hast du so einen Aal gesehen?"

Er packte den schleimigen Aal, der sich zu unterst ins Netz
verkrochen hatte, und lie� das Tier, das sich heftig str�ubte und
ringelte, durch die geschlossene Faust in das Netz zur�ckgleiten.

"Schau den Barsch!" sagte er und jonglierte den fettesten Barsch auf
der flachen Hand.  Dann wischte er sich mit dem Taschentuch seine
Finger ab.

Man wurde handelseinig.  Der K�chenmeister stellte einen Schein aus,
und Flametti nahm bei der B�fettdame drei�ig Franken in Empfang.  Er
hatte das leere Netz zusammengerollt, dankte verbindlichst und machte
sich auf den Heimweg.

Das Wetter hatte sich aufgekl�rt.  Die herbstgelben B�ume der
Seepromenade hoben sich scharf und klar gegen den hellblauen Himmel
ab.  Die M�wen strichen mit schwerem Fl�gelschlag langsam und m�chtig
den Flu� entlang, ballten sich kreischend zu eine...
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