Judenpogrom in Neidenburg
Die „Reichskristallnacht" in Neidenburg
Am Abend des 9. November 1938, nach Eintritt der Dunkelheit, wurden die Familie Zack und andere jüdische Bürger von SA-Männern überfallen. Meine Mutter und unsere Nachbarin, Frau Grabowski (Ehefrau von Landwirt August Grabowski), standen an dem zum Töpferberg 2 gerichteten Fenster der Wohnung Grabowski (Hindenburgstraße 32) und beobachteten das Massaker. Der alte Herr Zack wurde mit einem SA-Dolch verletzt. Frau Zack wurde erstochen und aus dem Fenster ihrer Wohnung auf die Straße geworfen. Später wurde ihre Leiche mit einem Lastwagen der Müllabfuhr (?) abtransportiert. Die beiden Söhne Helmut und Kurt Zack wurden ebenfalls durch Stiche verletzt und konnten fliehen. Sie hat meine Mutter, die mit der Familie Zack gut befreundet war, im Keller unter unserer Küche versteckt. Am nächsten Tag erschien einer der SA-Männer bei meiner Mutter und drohte ihr an, dass ihr dasselbe passieren würde, falls sie darüber redete. Sie mußte ihm schwören, keinem etwas davon zu erzählen, was sie beobachtet hatte. Man hatte sie und Frau Grabowski am Fenster gesehen. Diesen SA-Mann kannte meine Mutter persönlich sehr gut aus der Zeit, als sie beide noch in der SPD (im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und in der Eisernen Front) waren. (Dies berichtete meine Mutter mir im Oktober 1996, einige Tage bevor sie starb)
Der Synagogenbrand in Neidenburg
Die Gäste (u. a. mein Vater mit seiner Skatrunde) der nahegelegenen Gaststätte Marchlowitz liefen am Spätabend des 9. November 1938 zur brennenden Synagoge am Emil-Schulz-Platz und konnten beobachten, wie einige SA-Männer aus der benachbarten Schlosserei Rexin in Eimern Benzin holten und in die Flammen schütteten. Auf die Frage meines Vaters, ob sie damit etwa das Feuer löschen wollten, forderten sie ihn auf zu verschwinden, sonst würde er auch in den Flammen landen. Daraufhin überredete ihn sein Skatfreund Bruno Hasse (Studienrat am Erich-Koch-Gymnasium), diesen „Ort des Grauens“ schnellstens zu verlassen, bevor noch etwas schlimmeres passiert. Der herbeigeeilte Rabbiner wurde auf das übelste beschimpft, mißhandelt und mit Eiern und Mehl beworfen. Er war der einzige, der protestierte. Alle anderen Zuschauer verhielten sich passiv; einige zeigten sich sogar begeistert. (Dies berichtete mein Vater mir im Jahr 1953)
Verschwunden - Vergessen ???
Leider kann man heute nicht mehr erfahren, welche jüdischen Familien und Geschäfte es in Neidenburg gegeben hat und wann und wohin sie „verschwunden“ sind. Nachfragen bei älteren Neidenburgern und Zeitzeugen stoßen auf „Erinnerungslücken“, Desinteresse oder sogar auf Ablehnung und bleiben unbeantwortet! Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1871 lebten in der Stadt Neidenburg 241 jüdische Mitbürger. Im Adressbuch des Kreises Neidenburg von 1926 bzw. im Amtlichen Fernsprechbuch vom 1. Mai 1931 finden sich u. a. folgende Eintragungen, bei denen es sich um Juden handeln dürfte:
· Alexander, Albert, Justizrat, Rechtsanwalt, Notar, Deutsche Straße 196, Tel. 17.
· Bukofzer, M., Inhaber Alex Bukofzer, Kaufhaus sämtl. Bedarfsart., Markt 19/20, Tel. 126.
· Cohn, Max, Nachf., Inh. Daniel Cohn, Manufaktur/Schuhw., Markt 34, Tel. 122.
· Ehrlich, Dr. Arzt, Markt 49, Tel. 72.
· Hirsch, J., Manufaktur-, Kurz-,Weiß- u. Wollwaren, Markt 43, Tel. 110....
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