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EDITORIAL
Liebe Leserin, lieber Leser,
Die am wenigsten homogene Gruppe der Deutsch-
lernenden weltweit ist sicherlich die der Erwachse-
nen in Kursen der Goethe-Institute, Volkshochschulen
und anderen Institutionen der Erwachsenenbildung.
Es handelt sich hier um Lernende, die „freiwil-
lig“, also sehr motiviert, einen Sprachkurs besuchen,
allerdings aus äußerst unterschiedlichen Gründen:
vom ganz allgemeinen Interesse an der Sprache
und Kultur über die Vorbereitung auf einen Aufent-
halt in einem deutschsprachigen Land als Tourist,
Student, Praktikant ... bis hin zu dem Wunsch,
eine bestimmte Literatur „im Original“ lesen zu
können. So breit gestreut die Interessen der Kurs-
teilnehmer und Kursteilnehmerinnen sind, so groß
sind häufig auch die Altersunterschiede in den
Kursen.
Vor welche Probleme diese Voraussetzungen
sowohl die Unterrichtenden als auch die Lernen-
den stellen, wird in diesem Heft anschaulich und
zum Teil auf unterhaltsame Weise dargestellt. Es
enthält auch einen Beitrag über eine neue, aber in
Zukunft sicherlich immer stärker und häufiger in
Erscheinung tretende Zielgruppe: die der Senioren.
Helena Dalhoff berichtet über ihre Erfahrungen in
Seniorenkursen in Italien.
Bewußt ausgeklammert haben wir in diesem
Heft Kurse für Erwachsene, die ganz spezielle Ziele
verfolgen, also berufsorientierte Sprachkurse,
Lesekurse für Techniker oder Wissenschaftler, Kur-
se also, in denen die Zielgruppe entweder durch
das Alter oder durch Interessen eher homogen ist.
Ebenso unberücksichtigt bleibt die Gruppe der Aus-
siedler, der Fremdsprache Deutsch bereits 1991
eine Sondernummer gewidmet hat.
Wie immer würden wir uns freuen, wenn Sie
die Beiträge in diesem Heft dazu anregen, uns und
allen Leserinnen und Lesern von Fremdsprache
Deutsch Ihre eigenen Erfahrungen mitzuteilen.
Ihre
Schriftleitung
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3
INHALT
44 M ANFRED S CHEWE :
Lernen und Lehren mit Kopf, Herz,
Hand und Fuß
Dramapädagogische Fremdsprachen-
praxis in multikulturellen Deutschkursen
Sondernummer 1993/II
Deutschunterricht mit Erwachsenen
4 M ANFRED E WEL :
Deutschunterricht mit Erwachsenen
54 C RISTINA D IAZ :
Die Arbeit läuft uns nicht davon! –
Aber wie steht’s mit unseren
Kursteilnehmern?
Überlegungen zum Teilnehmerschwund
14 D ON B RADY :
Wie haben Sie Deutsch gelernt, Herr
Brady?
Freud und Leid eines Deutschlernenden
mit hohen Ansprüchen
N AMUTH -F INNILÄ :
Deutsche und Schweden:
Interkulturelle Unterschiede in
Gesprächssituationen
Unterrichtsverfahren und Inhalte
16 S AW P UAY L IM :
Der Osten ist rot sauer
Oder: Mittelstufen-Lamento
18 M ARTIN B ODE :
Drachentöten für Erwachsene
Ein neues Kurssystem für die Mittelstufe
61 Aktuelles Fachlexikon
28 R AINER H OFMANN /P ETRA S CHULZE -L EFERT :
Lernberatung: Anleitung zu
selbständigem Lernen
Ein Bericht aus dem Selbstlernzentrum
64 Litfaßsäule
64 Termine
34 U LRICH H ORNIG :
Einzelunterricht mit Erwachsenen –
Was ist anders?
Anmerkungen und Vorschläge
aus der Praxis
und Autoren
65 Impressum
38 H ELENA D ALHOFF :
Mit 60 zurück auf die Schulbank
Im Alter Deutsch lernen
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4
D EUTSCHUNTERRICHT MIT E RWACHSENEN
DEUTSCHUNTERRICHT
MIT ERWACHSENEN
Von Manfred Ewel
1. In welchem Kontext
steht der
Deutschunterricht mit
Erwachsenen?
Wenn Erwachsene Deutsch lernen,
dann tun sie das aus den unterschied-
lichsten Motiven. Anders als in der
Schule gehen im Unterricht mit Er-
wachsenen die Impulse zum Deutsch-
lernen hauptsächlich von den Lernern
selbst aus. Charakteristisch für er-
wachsene Lerner ist zunächst auch,
daß sie sich die fremde Sprache nicht
nur in einem Kurs, sondern auch
außerhalb des Klassenzimmers aneig-
nen. Im Unterricht dagegen suchen vie-
le Erwachsene kompetente Unterstüt-
zung für ihr Sprachlernvorhaben sowie
Kontakte zu Gleichgesinnten.
Welche Voraussetzungen prä-
gen den Unterricht für Deutsch
als Fremdsprache in der allge-
meinen, nicht beruflich orien-
tierten Erwachsenenbildung?
Welche Merkmale sind charak-
teristisch für erwachsene Ler-
ner? Und welche Möglichkeiten
ergeben sich daraus für Lehren-
de und Lernende? - Der einlei-
tende Beitrag versucht, Antwor-
ten auf diese Fragen zu formu-
lieren und leitet daraus
Vorschläge für das Zusammen-
spiel von Teilnehmern, Kursan-
gebot und Unterricht ab.
den letzten Jahren stärker ins Bewußt-
sein der Öffentlichkeit gerückt, was zu
einer verstärkten Nachfrage nach
Fremdsprachenunterricht für Erwach-
sene geführt hat.
Unterricht im Inland und
Unterricht im Ausland
Die Überlegungen in diesem Beitrag
beziehen sich auf Kurse für Deutsch als
Fremdsprache sowohl innerhalb wie
auch außerhalb des deutschen Sprach-
gebiets. Das hat mehrere Gründe: Ein-
mal lernen die meisten Erwachsenen
im Ausland mit Lehrmaterialien, die
aus Deutschland importiert werden.
Dazu kommt: Die Lehrkräfte sind ent-
weder Deutsche, die im Ausland leben,
oder einheimische Deutschlehrerinnen
und -lehrer, die in vielen Fällen mit
deutschen Fachleuten zusammenarbei-
ten. So hat sich auf dem Gebiet des
Deutschunterrichts mit Erwachsenen
ein intensiver Gedankenaustausch zwi-
schen den deutschen und ausländi-
schen Fachdidaktikern entwickelt, der
jedoch ohne Zweifel einen auf Deutsch-
land zentrierten Charakter aufweist:
Die fachdidaktische Entwicklung geht
weitgehend von Deutschland aus. Die
vielschichtigen Probleme und Fragen,
die mit diesem Methodenexport
zusammenhängen, sind noch bei wei-
chen. Fortgeschrittene können mit
Hilfe von Zeitschriften, Büchern, Ton-
oder Video-Kassetten sowie in zuneh-
menden Maße durch Satellitenpro-
gramme mit deutschen Fernsehsen-
dungen auch in entfernten Ländern
ihre Deutschkenntnisse anwenden und
vertiefen. Nicht zuletzt schaffen beruf-
lich oder privat motivierte Reisen und
längere Aufenthalte im Ausland immer
mehr Anlässe für interkulturelle Kon-
takte, die auch dem Sprachenlernen
dienen.
Erwachsene Lerner sind autonome
Lerner, denn sie können meist recht gut
auch ohne Kurs und Lehrer erfolgreich
lernen: Radio- und Fernsehkurse wie
z.B. Deutsch – Warum Nicht? oder Alles
Gute werden weltweit übertragen und
von Tausenden von Erwachsenen als
Lernangebote genutzt. In jeder Fach-
buchhandlung können sie Sprach-
reiseführer und Lehrwerke für den
Selbstunterricht finden, die den Ein-
stieg in die deutsche Sprache ermögli-
Die Bedeutung all dieser individuell
nutzbaren und im Zuge der weltweiten
Vernetzung expandierenden Möglich-
keiten für das Erlernen und den
Gebrauch von Fremdsprachen ist in
Fremdsprache Deutsch Sondernummer ’93/II
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5
tem nicht befriedigend geklärt (vgl.
Gerighausen/Seel 1986).
Anders als im Inland, wo die Spra-
che täglich gebraucht wird, ist Deutsch
für Lerner im Ausland unterschiedlich
wichtig. Es kann erste, zweite, dritte
oder eine weitere Fremdsprache sein.
Das hängt von der Stellung des Deut-
schen im Heimatland der Lernenden im
Verhältnis zu anderen international ver-
breiteten Sprachen ab sowie von der
spezifischen Motivation des Lerners.
Die Motivationen und Möglichkeiten
für Erwachsene im Ausland, Deutsch
zu erlernen, hängen also im weiteren
Sinne von der Bedeutung und dem Bild
der Bundesrepublik im jeweiligen Land
ab. Wenn es, wie in vielen außereu-
ropäischen Ländern, kein Angebot an
Deutschkursen in der einheimischen
Erwachsenenbildung gibt, bieten doch
häufig lokale Goethe-Institute oder
deutsch-ausländische Gesellschaften
solche Kurse auf hohem Niveau an.
Deutsche Lehrkonzepte treffen dann
unmittelbar auf einheimische, kultur-
spezifische Erwartungen an Unterricht,
und es obliegt den Lehrkräften, die in-
dividuellen, vielgestaltigen Erfahrun-
gen und Erwartungen der Teilnehmer
einerseits und die fremdkulturellen Un-
terrichtsmaterialien andererseits in ei-
nem möglichst fruchtbaren Lernpro-
zeß zu verbinden.
Weibliche Lehrkräfte wollen keine
„Lehrer“, weibliche Lernende wollen keine
„Schüler“ sein!
Lehrkräfte, Lehrerinnen und Lehrer, die Unterrichtenden, Teilnehmer/innen,
Lehrende und Lernende, Studierende, der Lehrer/die Lehrerin, die Lehrperson,
ExpertInnen ...
Alle diese Bezeichnungen finden Sie in den Beiträgen in diesem Heft. Dahinter
steht die Absicht, auch sprachlich der Tatsache Rechnung zu tragen, daß der
Fremdsprachenunterricht im allgemeinen und der Deutschunterricht im besonderen
längst keine Domäne von Männern/Lehrern/Teilnehmern mehr ist, im Gegenteil!
In vielen Ländern unterrichten mehr Lehrerinnen als Lehrer. Die deutsche Sprache
mit ihren geschlechtsspezifischen Bezeichnungen hat es da schwer. Wie einfach ist
das doch zum Beispiel bei den „teachers“!
„Weibliche Personen sind immer mitgemeint!“ sagen diejenigen, die am
liebsten alles beim alten lassen, und überhaupt:„Lehrer“ sei eine abstrakte
Berufsbezeichnung wie Philosoph oder Arzt. Aber ob man zu einem Arzt geht
oder zu einer Ärztin, das ist im konkreten Fall ein Unterschied, und auch der
Sprachunterricht ist letztendlich immer konkret und der oder die Unterrichtende
auch!
Die Autorinnen und Autoren dieses Heftes sind ganz unterschiedlich mit dieser
sprachlichen Herausforderung umgegangen. Im Gegensatz zur sonst üblichen
Praxis haben wir diesmal auf eine Angleichung der verschiedenen Aus-
drucksformen verzichtet. So finden Sie „Lehrerinnen und Lehrer“, „Teilnehmer/in-
nen“ und „ExpertInnen“, aber auch ganz einfach „den Kursleiter“ und „den
Kursteilnehmer“. Lassen Sie die verschiedenen Formen auf sich wirken! Wenn Sie
weiblichen Geschlechts sind, überprüfen Sie einmal, ob Sie sich wirklich
mitgemeint fühlen, oder spüren Sie, Mann oder Frau, dem inneren Bild
nach, das bei der so oder so bezeichneten Person in Ihrer Vorstellung entsteht.
Und: Wie wirkt die Sprache dabei?
(Wie ist es in Ihrer Sprache? Sind geschlechtspezifische Bezeichnungen in Ihrer
Sprache/Ihrem Land/Ihrem Bereich überhaupt ein Thema? Und wie ist Ihre
Meinung dazu? Schreiben Sie uns: Ihre Meinung und gegebenenfalls Ihre
Lösungsvorschläge interessieren uns.)
Sind in einer solchen Auslandssi-
tuation noch einigermaßen homogene
Lernvoraussetzungen wie die gemein-
same Muttersprache und durch dassel-
be Bildungssystem geprägte Lernerfah-
rungen gegeben, so sieht die Situation
beim Deutschunterricht in deutschspra-
chiger Umgebung weit heterogener aus.
Normalerweise sind in einem solchen
Kurs die verschiedensten Nationalitä-
ten vertreten: Ausgangssprachen, kul-
turelle Prägung, Lerngewohnheiten
und soziale Lage der Teilnehmer sind
äußerst unterschiedlich. Der Lehrer im
Inland sieht sich also einer weit kom-
plexeren Unterrichtssituation und viel-
fältigeren Anforderungen gegenüber
als bei Kursen im Ausland. Selten nur
wird er in der Lage sein, allen Kursteil-
nehmern in allen Punkten (Berücksich-
tigung der jeweiligen Muttersprache,
kontrastive Ausspracheschulung usw.)
gerecht zu werden. Dafür kommt ihm
die für alle Kursteilnehmer erfahrbare
Ihre Redaktion
deutschsprachige Umgebung zu Hilfe,
die den ausländischen Lernern viel-
fältige Anlässe zu Kommunikation und
Möglichkeiten des Weiterlernens
bietet.
sprachübergreifenden Übernahme cur-
ricularer Entscheidungen. So diente
z. B. das System aufeinander aufbauen-
der Kurse von Grund- und Mittelstufe
mit einer Zertifikatsprüfung als Trenn-
linie zwischen den beiden Stufen im
Englischunterricht der Erwachsenen-
bildung als Modell für das Kurssystem
und die Zertifikatsprüfung in Deutsch
als Fremdsprache (wie übrigens auch
für Französisch, Spanisch usw.) Gerade
auf dem Gebiet der Erwachsenenbil-
dung, wo ja stets eine ganze Reihe von
Fremdsprachen angeboten werden, fin-
det ein reger Austausch an praktischen
Erfahrungen sowie wissenschaftlichen
Erkenntnissen der Sprachlehrfor-
schung (vgl. Bausch/Krumm 1989) zu
verschiedenen Fremdsprachen statt.
Allgemeingültige Aussagen über
Fremdsprachenunterricht
Was in diesem Heft über Deutsch als
Fremdsprache gesagt wird, ist prinzipi-
ell auch auf andere Fremdsprachen in
der Erwachsenenbildung übertragbar
(vgl. Raasch 1989). In Deutschland hat
die Fremdsprachendidaktik z. B. ent-
scheidende Impulse vom Unterricht in
Englisch als Fremdsprache erfahren.
Dies zeigt sich unter anderem in der
Fremdsprache Deutsch Sondernummer ’93/II
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