Die zärtlichen Schwestern
Christian Fürchtegott Gellert
Ein Lustspiel von drei Aufzügen
Personen:
Cleon
Der Magister, sein Bruder
Lottchen, Cleons älteste Tochter
Julchen, dessen jüngste Tochter
Siegmund, Lottchens Liebhaber
Damis, Julchens Liebhaber
Simon, Damis' Vormund
Erster Aufzug
Erster Auftritt
Cleon. Lottchen.
Lottchen. Lieber Papa, Herr Damis ist da. Der Tee ist schon in dem
Garten, wenn Sie so gut sein und hinuntergehen wollen?
Cleon. Wo ist Herr Damis?
Lottchen. Er redt mit Julchen.
Cleon. Meine Tochter, ist dir's auch zuwider, daß ich den Herrn Damis
auf eine Tasse Tee zu mir gebeten habe? Du merkst doch wohl seine
Absicht. Geht dir's auch nahe? Du gutes Kind, du dauerst mich.
Freilich bist du älter als deine Schwester und solltest also auch eher
einen Mann kriegen. Aber...
Lottchen. Papa, warum bedauern Sie mich? Muß ich denn notwendig eher
heiraten als Julchen? Es ist wahr, ich bin etliche Jahre älter; aber
Julchen ist auch weit schöner als ich. Ein Mann, der so vernünftig,
so reich und so galant ist als Herr Damis und doch ein armes
Frauenzimmer heiratet, kann in seiner Wahl mit Recht auf diejenige
sehen, die die meisten Annehmlichkeiten hat. Ich mache mir eine Ehre
daraus, mich an dem günstigen Schicksale meiner Schwester aufrichtig
zu vergnügen und mit dem meinigen zufrieden zu sein.
Cleon. Kind, wenn das alles dein Ernst ist: so verdienst du zehn
Männer. Du redst fast so klug als mein Bruder und hast doch nicht
studiert.
Lottchen. Loben Sie mich nicht, Papa. Ich bin mir in meinen Augen so
geringe, daß ich sogar das Lob eines Vaters für eine Schmeichelei
halten muß.
Cleon. Nun, nun, ich muß wissen, was an dir ist. Du hast ein Herz,
dessen sich die Tugend selbst nicht schämen dürfte. Höre nur...
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Lottchen. Oh, mein Gott, wie demütigen Sie mich! Ein Lobspruch, den
ich mir wegen meiner Größe nicht zueignen kann, tut mir weher als ein
verdienter Verweis.
Cleon. So bin ich nicht gesinnt. Ich halte viel auf ein billiges Lob,
und ich weigere mich keinen Augenblick, es anzunehmen, wenn ich's
verdiene. Das Lob ist ein Lohn der Tugend, und den verdienten Lohn
muß man annehmen. Höre nur, du bist verständiger als deine Schwester,
wenn jene gleich schöner ist. Rede ihr doch zu, daß sie ihren
Eigensinn fahrenläßt und sich endlich zu einem festen Bündnisse mit
dem Herrn Damis entschließt, ehe ich als Vater ein Machtwort rede.
Ich weiß nicht, wer ihr den wunderlichen Gedanken von der Freiheit in
den Kopf gesetzet hat.
Lottchen. Mich deucht, Herr Damis ist Julchen nicht zuwider. Und ich
hoffe, daß er ihren kleinen Eigensinn leicht in eine beständige Liebe
verwandeln kann. Ich will ihm dazu behülflich sein.
Cleon. Ja, tue es, meine Goldtochter. Sage Julchen, daß ich nicht
ruhig sterben würde, wenn ich sie nicht bei meinem Leben versorgt
wüßte.
Lottchen. Nein, lieber Papa, solche Bewegungsgründe zur Ehe sind wohl
nicht viel besser als die Zwangsmittel. Julchen hat Ursachen genug in
ihrem eigenen Herzen und in dem Werte ihres Geliebten, die sie zur
Liebe bewegen können; diese will ich wider ihren Eigensinn erregen und
sie durch sich selbst und durch ihren Liebhaber besiegt werden lassen.
Cleon. Gut, wie du denkst. Nur nicht gar zu lange nachgesonnen.
Rühme den Herrn Damis. Sage Julchen, daß er funfzigtausend Taler
bares Geld hätte und... Arme Tochter! es mag dir wohl weh tun, daß
deine Schwester so reich heiratet. Je nun, du bist freilich nicht die
Schönste; aber der Himmel wird dich schon versorgen. Betrübe dich
nicht.
Lottchen. Der Himmel weiß, daß ich bloß deswegen betrübt bin, weil
Sie mein Herz für so niedrig halten, daß es meiner Schwester ihr Glück
nicht gönnen sollte. Dazu gehört ja gar keine Tugend, einer Person
etwas zu gönnen, für welche das Blut in mir spricht. Kommen Sie, Papa,
der Tee möchte kalt werden.
Cleon. Du brichst mit Fleiß ab, weil du dich fühlst. Sei gutes Muts,
mein Kind. Ich kann dir freilich nichts mitgeben. Aber solange ich
lebe, will ich alles an dich wagen. Nimm dir wieder einen
Sprachmeister, einen Zeichenmeister, einen Klaviermeister und alles an.
Ich bezahle, und wenn mich der Monat funfzig Taler käme. Du bist es
wert. Und höre nur, dein Siegmund, dein guter Freund, oder wenn du es
lieber hörst, dein Liebhaber, ist freilich durch den unglücklichen
Prozeß seines seligen Vaters um sein Vermögen gekommen; aber er hat
etwas gelernt und wird sein Glück und das deine gewiß machen.
Lottchen. Ach lieber Papa, Herr Siegmund ist mir itzt noch ebenso
schätzbar als vor einem Jahre, da er viel Vermögen hatte. Ich weiß,
daß Sie unsere Liebe billigen. Ich will für die Verdienste einer Frau
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sorgen, er wird schon auf die Ruhe derselben bedacht sein. Er hat so
viel Vorzüge in meinen Augen, daß er sich keine Untreue von mir
befürchten darf, und wenn ich auch noch zehn Jahre auf seine Hand
...
geliebte