Adrian, Lara - Der dunkle Ritter.pdf

(1411 KB) Pobierz
902704411.002.png 902704411.003.png 902704411.004.png
LARA ADRIAN SCHREIBT ALS TINA ST. JOHN
DER DUNKLE RITTER
Roman
Ins Deutsche übertragen von
Susanne Kregeloh
Prolog
Im Heiligen Land, 1. September 1192
Reglos lag der Mann dort, wo er Augenblicke zuvor zusammengebrochen
war. Aus der Wunde an seiner Flanke strömte Blut, tränkte seinen Waf-
fenrock und sammelte sich unter ihm auf dem Sandboden des Zeltes in
einer großen dunkelroten Lache. Der Tote hielt den linken Arm von sich
gestreckt, und seine leblosen Finger krallten sich noch immer in den
Sand, nur Zentimeter vom Stiefel des englischen Soldaten entfernt.
Cabal – in den mehr als zwei Jahren des Kreuzzugs war er unter dem
Kriegsnamen Blackheart bekannt und berüchtigt geworden – stand im
trüben Schein einer blakenden Kerze, die während des Kampfes umge-
fallen war, und betrachtete in nüchterner Überlegung diese krallengleiche
Hand. Er fühlte sich wie jemand, der aus den Tiefen eines dunklen,
schweren Traumes erwachte.
Vor dem Zelt hatte sich die Dunkelheit über die Wüste gelegt und das
weite Meer aus sengend heißem Sand abgekühlt. Die Blutgier der
Kreuzritter, die hier lagerten, hatte sie jedoch kaum gemindert. Das
Freudenfeuer, das König Richards Armee vor Stunden entzündet hatte,
würde noch bis lange in die Nacht hinein brennen, und ebenso lange
würden auch die Stimmen der betrunkenen Männer zu hören sein, die
laut den bescheidenen Sieg feierten, der an diesem Tag errungen worden
war.
Die Soldaten, die schon seit mehr als vierzehn Tagen in diesem Lager
ausharrten und darauf brannten, endlich wieder zu kämpfen, hatten am
Nachmittag ein Dorf überfallen und viele Muslime getötet. Dabei hatte es
nichts zur Sache getan, dass auch Frauen und Kinder zu den Toten zähl-
ten; in den Augen der Kirche waren sie alle seelenlose Heiden. Und weil
4/363
das so war, hatte man ihnen beim Hinmetzeln weniger Beachtung ges-
chenkt als dem niedersten Ungeziefer. Aber die Toten waren die Glück-
lichen. Denn ihnen blieb das Grauen jener erspart, die lebend in die Ge-
fangenschaft der Ritter des Kreuzes geraten waren.
Cabal fuhr sich mit der Hand über das von dunklem Bartwuchs be-
deckte Gesicht und seufzte müde, während er auf den toten Offizier hin-
untersah. Verdammt. Zu was für Tieren waren sie nur im Namen Gottes
geworden? Und was ihn noch mehr beschäftigte – konnte es wirklich
sein, dass er anfing, sich zu fragen, ob das für ihn von Bedeutung war?
Bevor sein seit Langem vergessenes Gewissen sich melden und ihm
weiter zu schaffen machen konnte, lauschte Cabal auf die Schritte, die
sich schlurfend dem Zelt näherten. Die Eingangsplane wurde zurück-
geschlagen, und ein lachender Soldat bückte sich, um das Zelt zu betre-
ten. Seine Augen waren glasig, er stank nach Schweiß und zu viel Wein.
»Sir Garrett, Ihr selbstsüchtiger Bastard! Habt Ihr etwa vor, die Kleine
ganz für Euch zu behalten?« Der Söldner schnappte keuchend nach Luft
und taumelte zurück. »Herrgott, was ist passiert –?«
Als er näher kommen wollte, hielt Cabal ihn mit einer abwehrenden
Handbewegung davon ab. Dann ging er neben dem getöteten Edelmann
in die Hocke und griff nach dem juwelenbesetzten Dolch, der neben dem
Toten lag und rot von Blut war. »Ich bin zu spät gekommen«, sagte Cabal
ausdruckslos. »Es gab keine Rettung für ihn.«
»Sie hat ihn umgebracht! Diese verdammte Sarazenen-Hure hat ihn
umgebracht!«
»Sie war keine Hure, Rannulf. Sie war ein Kind.« Cabal gelang es
kaum, sich seinen Abscheu nicht anhören zu lassen. »Sie kann nicht älter
als zehn gewesen sein.«
»Ob Kind oder nicht, diese dreckige Hexe wird dafür büßen, dass sie
–«
Rannulf führte seine hasserfüllte Drohung nicht weiter aus, als Cabal
sich aufrichtete und sich vor ihn hinstellte. Seine Körpergröße zwang ihn,
902704411.005.png
 
5/363
unter dem niedrigen Dach des Zeltes den Kopf zu beugen. »Das Mädchen
ist fort.«
Der Söldner runzelte die Stirn und schaute an Cabal vorbei zu einem
durchtrennten Stück Seil, das auf dem Sandboden lag. Sir Garrett von
Fallonmour hatte der jungen Sarazenin das dicke Seil um den Hals
geschlungen, nachdem er sie am Nachmittag aus einer Gruppe von wehk-
lagenden Dorfbewohnern herausgeholt hatte, um sie für sein nieder-
trächtiges Vergnügen zu benutzen. In Rannulfs Augen standen
Ratlosigkeit und Misstrauen, doch er schien zu zögern, seine Zweifel
hinsichtlich der Flucht der Gefangenen auszusprechen.
Cabal
sagte
unumwunden,
was
er
getan
hatte.
»Ich
habe
sie
freigelassen.«
»Sie freigelassen? Damit sie den nächsten Mann hinterrücks erstechen
kann? Diese mörderische kleine Hexe sollte man jagen und ihr die Einge-
weide herausreißen.«
»Jeder Mann, der das Mädchen verfolgt oder an einem der Bauern für
diese
Tat
hier
Vergeltung
übt,
wird
mir
Rede
und
Antwort
stehen
müssen.«
Rannulf starrte ihn ungläubig an. »Herrgott, Blackheart! Ihr habt fast
zwei Jahre lang an der Seite von Sir Garrett gekämpft. Und jetzt muss ich
von Euch hören, dass Euch das Leben dieses Bauernluders mehr bedeutet
als seines!«
Cabal hielt seinem Blick stand, ohne darauf zu reagieren. Garrett von
Fallonmour war ganz gewiss nicht sein Freund gewesen, aber schließlich
gab Cabal auf niemandes Leben viel, nicht einmal auf sein eigenes. Er
empfand eine gewisse Befriedigung, als er in den Augen seines Ge-
genübers sah, dass dieser begriff, was er getan hatte.
»Jesus«, flüsterte Rannulf, dem erst jetzt das Ausmaß seiner Dumm-
heit bewusst geworden war. Nur wenige wagten es, den Mann
herauszufordern, der den Ruf hatte, unter den gnadenlosen Gefolgsleuten
König Richards der schlimmste zu sein. Rannulfs Gesicht wurde weiß und
902704411.001.png
 
Zgłoś jeśli naruszono regulamin